Die Schule des Dienens: Geben und Nehmen in Balance
- Denise Held - Expertin für Handanalyse und Energiearbeit

- 25. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
und Warum NEIN sagen so schwer fällt

In der Handanalyse spricht man von sogenannten Lebensschulen. Sie beschreiben nicht nur unsere Grundbedürfnisse und Lernaufgaben, sondern auch das Umfeld, in dem wir uns zu Hause fühlen – oder aber immer wieder anecken. In meinem Blog vom 13.10.25 habe ich dieses Thema in der Tiefe erläutert. Wie gesagt, jeder steckt in einer der vier Lebensschulen und wird dadurch in seinen täglichen Handlungen geprägt.
Eine dieser Schulen ist die Schule des Dienens. Wer zu dieser Schule gehört, trägt ein tiefes inneres Bedürfnis in sich, für andere da zu sein, zu helfen und zu unterstützen. Doch was sich auf den ersten Blick wie selbstlose Nächstenliebe anhört, birgt in Wahrheit eine zutiefst menschliche Herausforderung.
Das tiefe Bedürfnis, gebraucht zu werden
Menschen in der Schule des Dienens haben ein starkes Bedürfnis nach Zugehörigkeit, gegenseitiger Unterstützung, Wertschätzung, Sinnstiftung und emotionaler Verbindung. Sie möchten Teil eines grösseren Ganzen sein – sei es im Team, in der Familie oder im Freundeskreis – und dort wirksam mitgestalten.
Sie spüren intuitiv, was andere brauchen, und reagieren darauf oft, ohne dass etwas ausgesprochen werden muss. Das macht sie zu verlässlichen Mitmenschen, tragenden Kräften im Hintergrund und gefragten Teamplayern. Sie springen ein, wo Hilfe gebraucht wird, sie organisieren, unterstützen, lösen und halten vieles im Hintergrund am Laufen. Das kann im beruflichen wie im privaten Kontext geschehen: als engagierte Eltern, treue Freunde, zuverlässige Kollegen oder stille Stützen in sozialen Berufen. Doch ihre grosse Gabe wird schnell zur Falle, wenn das Geben zum einzigen Identitätsanker wird.
Wenn Hilfsbereitschaft zur Falle wird
Die zentrale Lernaufgabe dieser Lebensschule ist es, Grenzen zu erkennen und zu setzen. Viele erleben es als nahezu unmöglich, eine Bitte abzulehnen – selbst wenn die eigenen Kräfte erschöpft sind. Das Nein-Sagen fällt schwer, weil tief im Innern die Angst lauert, nicht mehr gebraucht oder sogar abgelehnt zu werden. So wird aus echter Hilfsbereitschaft ein Automatismus, der auf Dauer zermürbt.
Ein unausgewogenes Geben ohne Rückbindung an die eigenen Bedürfnisse führt über kurz oder lang zu innerer Leere, Frustration und dem Gefühl, ausgenutzt oder übersehen zu werden. Der innere Dialog lautet dann oft: „Ich bin immer für alle da – aber keiner ist für mich da.“
Ein Fallbeispiel aus der Praxis
Anna, 42 Jahre, arbeitet als Pflegefachfrau in einem Altersheim. Sie ist beliebt bei Kolleg:innen und Bewohner:innen, übernimmt regelmässig Zusatzschichten, springt ein, wenn jemand krank ist, und bringt sogar selbstgebackenen Kuchen mit zur Arbeit. Ihre grösste Freude ist es, gebraucht zu werden.
Doch nach Jahren dieser ständigen Verfügbarkeit spürt Anna, wie ihre Energie schwindet. Sie schläft schlecht, ist gereizt, weint manchmal grundlos. In der Handanalyse zeigt sich deutlich: Anna gehört zur Schule des Dienens. Ihr Bedürfnis nach Anerkennung über das Geben war so dominant geworden, dass sie sich selbst kaum noch spürte.
Erst als sie begann, kleine Nein’s zu üben – etwa eine Schicht nicht zu übernehmen oder eine Bitte auszuschlagen, wenn sie selbst erschöpft war – kam sie langsam wieder zu sich. Sie lernte: Grenzen setzen ist kein Egoismus, sondern ein Akt der Selbstachtung. Heute ist sie immer noch für andere da – aber nicht mehr um jeden Preis.
Der Schatten des Dienens
In der Schattenseite dieser Schule liegt die Selbstaufgabe. Man definiert seinen Wert über das, was man für andere tut, und verliert sich dabei selbst. Man sagt Ja, obwohl man innerlich Nein meint. Man wartet auf Anerkennung, statt sich selbst wertzuschätzen. Das Resultat ist emotionale Abhängigkeit und Überforderung.
Die Meisterschaft des Dienens: Balance zwischen Ich und Du
Die eigentliche Einladung dieser Lebensschule besteht darin, das Geben neu zu definieren – nicht als Pflicht, sondern als freie Wahl. Wahres Dienen bedeutet nicht Selbstaufgabe, sondern Selbstführung. Es beginnt mit der Frage: Was brauche ich? Und erst dann: Was braucht der andere?
Ein Mensch, der diese Schule gemeistert hat, weiss, wann er hilft – und wann nicht. Er erkennt, dass auch andere wachsen dürfen und dass Helfen nicht immer gleich Tun bedeutet. Er kann geben, ohne sich selbst zu verlieren – und Nein sagen, ohne Schuldgefühle.
Bedürfnisse, die in dieser Schule zentral sind
Anerkennung und Wertschätzung
Zugehörigkeit und Gemeinschaft
Sinnvolles Wirken
Selbstachtung, Selbstfürsorge und Selbstbestimmung
Spiritualität
Sichtbarkeit
Diese Bedürfnisse sind kein Zeichen von Schwäche – sie sind der Schlüssel zur inneren Balance. Wer lernt, sie bewusst wahrzunehmen und zu benennen, stärkt nicht nur sich selbst, sondern auch seine Beziehungen.
Fazit: Die Kraft des bewussten Dienens
Die Schule des Dienens ist eine stille, aber tief transformierende Lebensschule. Sie führt uns in die Kunst, mitfühlend zu sein, ohne sich selbst zu verlieren. Sie lehrt uns, zu geben, ohne auszubrennen – und Nein zu sagen, ohne zu verletzen. Wer diesen Weg geht, erfährt eine Form von Liebe, die frei ist von Erwartung. Und genau darin liegt ihre grösste Kraft: im präsenten Sein – klar, zugewandt, in sich ruhend.
Reflexionsfrage für dich:
Wo in deinem Leben sagst du Ja, obwohl du innerlich Nein meinst – und was würde sich verändern, wenn du den Mut hättest, ehrlich zu dir zu sein?




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